Inklusion und Barrierefreiheit
Experten-Interview März 2025
Änderung der Servicenummer
für Hörende bei Tess
Die Tess - Relay-Dienste in Osterrönfeld sind ein bundesweiter Telefonvermittlungsdienst für hör- und sprachbehinderte Menschen. Professionelle Gebärdensprachdolmetscher und Schriftdolmetscher übersetzen hier simultan Telefongespräche von Deutscher Gebärdensprache (DGS) und Schriftsprache in deutsche Lautsprache und umgekehrt. Sie ermöglichen so, dass auch gehörlose Menschen eigenständig telefonieren können. Ich habe mich über die bevorstehende Änderung mit Nadine Brohm, der Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, unterhalten.
Frau Brohm können Sie uns einen Überblick über die Arbeit von Tess geben?
Nadine Brohm: Tess stellt den bundesweiten Telefonvermittlungsdienst für hör- und sprachgeschädigte Menschen bereit. Hörgeschädigte Menschen melden sich dafür bei uns als Kunde an und können dann über eine Software mit Hilfe von dazugeschalteten Gebärdensprachdolmetschern oder Schriftdolmetschern Telefonate mit hörenden Menschen führen.
Diese Telefonate sind jederzeit spontan möglich. Wir sind 24/7 erreichbar. Der Kunde benötigt dafür lediglich eine Internetverbindung und unsere Software, die auf PC, Smartphone oder Tablet funktioniert.
Hörende Menschen müssen sich nicht bei Tess anmelden. Sie können über eine normale Telefonverbindung in unserem Relay-Dienst anrufen und sich mit einem Tess-Kunden telefonisch verbinden lassen.
Welche Rolle spielen die Dolmetscherdienste für Hörende und Gehörlose?
Es bedeutet für hörgeschädigte Menschen mehr Selbstständigkeit und Zeitersparnis in der Kommunikation mit hörenden Menschen, da sie den Dolmetscher zum Telefonieren auf ihrem Handy praktisch in der Tasche haben. Für gehörlose Menschen bietet es außerdem die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache, der DGS, zu kommunizieren, anstatt über schriftliche Kommunikation per E-Mail etc., denn häufig ist Schriftsprache für gehörlose Menschen nicht einfach zu verstehen.
Für schwerhörige Menschen ist das Telefonieren über Tess eine Sicherheit, alles verstanden zu haben, denn sie können das Telefonat mitlesen. Und letztlich ist es auch für hörende Menschen einfach eine bequeme Art, mit hörgeschädigten Menschen zu telefonieren, ohne einen Dolmetscher vorher buchen zu müssen.
Ab 01.03. ändert sich die bisherige Servicenummer 01805. Gab es bestimmte Probleme oder Anforderungen, die die Änderung notwendig machen?
Ja. Wir haben im letzten Jahr vermehrt wahrgenommen, dass die Servicerufnummern bei Firmen gesperrt wurden. Das bedeutet für unsere Kunden, dass sie dort nicht anrufen können. Umgedreht können auch hörende Personen nicht bei unseren Kunden anrufen, wenn die eigene Firma Anrufe zu Servicerufnummern gesperrt hat.
Dieses Problem entfällt jetzt durch die Abschaffung der Servicerufnummern und den Einsatz von ganz „normalen“ Festnetznummern.
Neue Festnetznummern ab 01.03.2025:
Private Nutzung:
TeSign – Gebärdensprachdolmetschdienst für private Telefonate: 04331 77 003 99
TeScript – Schriftdolmetschdienst für private Telefonate: 04331 77 003 88
Berufliche Nutzung:
TeSign
für berufliche Telefonate: 04331 77 003 00
TeScript für berufliche Telefonate: 04331 77 003 11
TeSign für berufliche Telefonate im Sondertarif: 04331 77 003 84
TeScript
für berufliche Telefonate im Sondertarif: 04331 77 003 83
Wie wird die Umstellung auf die neue Telefonnummer kommuniziert, insbesondere an Ihre Bestandskunden?
Wir informieren unsere Kunden per E-Mail. Außerdem posten wir es in unseren Social-Media- Kanälen und platzieren präsente Hinweise auf der Homepage.
Wie Sie schon erwähnt haben, können hörende Anrufer über Tess Gehörlose telefonisch erreichen, so kann z.B. der hörende Arbeitgeber seinen gehörlosen Angestellten oder der hörende Arzt seinen gehörlosen Patienten anrufen. Wie funktioniert so ein Gespräch?
Hörende Anrufer rufen die Telefonnummer des Dolmetschdienstes an. Sie werden zunächst mit einem Dolmetscher verbunden, der nach dem Namen der gewünschten Gesprächsperson fragt. Der Dolmetscher sucht den Kunden in unserer Datenbank heraus und ruft ihn über unsere Software an. Der Tess-Kunde muss dafür „online“ sein. Er wird entweder über eine Videoverbindung oder eine Chatverbindung angerufen. Dies hängt davon ab, welchen Dienst der Kunde nutzt: den TeSign – Gebärdensprachdolmetschdienst oder den TeScript – Schriftdolmetschdienst.
Wenn der Kunde erreicht wurde, sagt der Dolmetscher beiden Teilnehmern, dass das Gespräch beginnen kann und übersetzt simultan, entweder von Gebärdensprache in Lautsprache oder von Schrift in Lautsprache und umgekehrt.
Die Kosten für hörende Anrufer sind unterschiedlich, abhängig vom jeweiligen Telefonvertrag. Tess-Kunden erhalten monatlich Freiminuten. Nach Aufbrauchen der monatlichen Freiminuten zahlt der Tess-Kunde bei privaten Telefonaten 0,14 €/ Minute. Berufliche Telefonate sind teurer, da die Finanzierung hier anders geregelt ist. Die Preise sind auf der Homepage von Tess zu finden. (www.tess-relay-dienste.de/kosten)
Die Tess-App ermöglicht Gespräche ferndolmetschen zu lassen. Kann man diese Serviceleistungen bei Bedarf einfach spontan in Anspruch nehmen?
Nein. Ferndolmetschen ist bei Tess nicht erlaubt. Beim Ferndolmetschen wird das Gespräch zwischen zwei Personen vor Ort gedolmetscht, also ein Präsenzdolmetscher ersetzt. Dies ist nicht unser Auftrag.
Wir arbeiten im Auftrag der Bundesnetzagentur und führenden Telekommunikationsunternehmen, um für eine gleichberechtigte Teilhabe hörbehinderter Menschen an der Telekommunikation zu sorgen. Dafür erhalten wir eine Finanzierung von den verpflichteten TK-Unternehmen, nicht um Präsenzdolmetschen zu ersetzen.
Eine Ausnahme für das Ferndolmetschen wird nur in Zusammenhang mit Notrufen über die 110 oder 112 gemacht, um die Kommunikation mit den Rettungskräften oder der Polizei am Notfallort zu gewährleisten.
Wie viele Kunden nehmen monatlich die Serviceleistungen von Tess in Anspruch und wer sind diese Kunden?
Wir haben derzeit über 8.000 Kunden. Den Hörstatus fragen wir bei der Anmeldung nicht ab. Wir können aber sagen, dass der Gebärdensprachdolmetschdienst TeSign höher frequentiert wird, als der Schriftdolmetschdienst TeScript. Die Anzahl der Anrufe von Tess-Kunden zu hörenden Teilnehmern ist höher als umgekehrt.
Bundesweit herrscht ein Mangel an Gebärdensprachdolmetschern. Wie stellt Tess sicher, dass immer genügend Gebärdensprachdolmetscher und Gebärdensprachdolmetscherinnen zur Verfügung stehen, um die Nachfrage zu decken?
Wir kaufen die Dolmetschdienstleistung bei der Firma Telesign Deutschland GmbH ein. Telesign stellt uns derzeit ca. 180 Gebärdensprachdolmetscher*innen zur Verfügung. Wir sind mit Telesign im engen Austausch über die benötigten Kapazitäten, so dass Telesign die Einsatzplanung langfristig organisieren kann.
Telesign sorgt mit guten Arbeits- und Fortbildungsbedingungen dafür, dass die Dolmetschenden gerne für Telesign arbeiten und wir so die Kontingente decken können.
Vielen Dank für das Interview!
Text: Judit Nothdurft
Bild: Nadine Brohm