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Experten-Interview Juli 2024



Wir sind eine Anlaufstelle für Menschen jeglichen Alters – Hessens erste und bisher einzige Beratungsstelle für Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung

 

Die erste und bisher einzige Beratungsstelle für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen in Hessen ist in Frankfurt. Dem Beraterinnenteam ist es ein Anliegen die gesellschaftliche Teilhabe von Personen mit der doppelten Sinnesbeeinträchtigung zu fördern. Über das Projekt habe ich die beiden Beraterinnen, Lena Anna Schmidt und Klara Bellinger, interviewt.

 

Frau Schmidt, Frau Belinger, wann sprechen wir über Taubblindheit und Hörsehbehinderung und was bedeutet es für die Betroffenen und deren Angehörige?

Bei einer Hörsehbehinderung sind beide Fernsinne betroffen. Das bedeutet, sowohl das Sehen als auch das Hören sind beeinträchtigt. Von Taubblindheit spricht man, wenn beide Sinne vollkommen ausfallen.

Gleichzeitig ist taubblind jedoch auch eine Selbstbezeichnung von Menschen mit einer Hörsehbehinderung. Für diese Menschen selbst bedeutet die Beeinträchtigung, dass die Wahrnehmung der Welt ohne Hilfsmittel nur eine Armlänge weit reicht.

 

Wie viele Menschen leben mit dieser Behinderung in Hessen bzw. in Deutschland?

Laut Daten des Hessischen Statistischen Landesamtes sind in Hessen 2.500 Menschen sowohl von einer Seh- als auch von einer Hörbehinderung betroffen. Hier sind jedoch lediglich die Menschen mit Schwerbehindertenausweis erfasst. Man muss von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Laut dem Hessischen Versorgungsamt hatten im Jahr 2023 102 Personen das Merkzeichen TBL (Taubblind) und 80 Personen haben Taubblindengeld bezogen. Bundesweit schätzte die Arbeitsgemeinschaft der Einrichtungen und Dienste für taubblinde Menschen in Deutschland (AGTB) die Zahl der taubblinden Menschen auf 4.000-9.000.

 

Seit Januar steht Ihre Beratungsstelle für Menschen mit dieser Behinderung zur Verfügung. Was bieten Sie genau an?

Wir bieten Beratung zu sozialrechtlichen Themen wie das Taubblindengeld und Unterstützung bei dem Kontakt mit Behörden und Ämtern z.B. im Rahmen der Antragstellung. Außerdem bieten wir psychosoziale Beratung für Menschen mit Hörsehbeeinträchtigung sowie deren Angehörige an.

 

Neben der Informationsvermittlung liegt eine weitere wichtige Aufgabe in der Kontaktherstellung und Vermittlung zu Selbsthilfegruppen, Vereinen sowie Bildungs- und Reha-Angeboten.

 

Wie ist diese Beratungsstelle entstanden?

Das Hessische Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales hat einen geeigneten Träger gesucht, um eine solche Beratungsstelle zu gründen. Im April 2023 hat die blista (Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.) den Zuschlag vom Land Hessen für die Beratungsstelle erhalten.

 

Unser Team besteht aus zwei Beraterinnen (mit jeweils einer 75%-Stelle). Ich (Klara Bellinger) bin Psychologin und ausgebildete Gestalttherapeutin. Ich (Lena Anna Schmidt) habe ein abgeschlossenes Bachelorstudium in Sozialer Arbeit und befinde mich derzeit im Masterstudium für Psychosoziale Beratung und Recht, welches ich voraussichtlich im Jahr 2025 beende.

 

Wir haben uns parallel zu unseren Beratungen in den letzten Monaten viel fortgebildet. Wir haben beispielsweise unsere sozialrechtlichen Kenntnisse sowie unser Wissen zur Einfachen Sprache vertieft und uns sehende Begleittechniken angeeignet. Dazu bauen wir kontinuierlich unsere Gebärdensprachkenntnisse aus, da es unser Ziel ist, Beratungen auf Gebärdensprache gut und möglichst ohne dolmetschende Personen durchführen zu können.

 

Wer finanziert das Projekt?

Die Beratungsstelle wird maßgeblich vom Hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales unterstützt.

 

Beraten Sie auch Angehörige, Kollegen oder Arbeitgeber von Taubblinden und Hörsehbehinderten?

Ja, wir verstehen uns als Erstanlaufstelle zum Thema Taubblindheit für alle Interessierten. Auch Angehörige, Fachkräfte und Arbeitgeber können sich an uns wenden. Hierbei liegt uns beispielsweise die Sensibilisierung von Mitarbeitenden des ambulant betreuten Wohnens am Herzen. Wir sind eine Anlaufstelle für Menschen jeglichen Alters.

 

Mit welchem Anliegen werden Sie am häufigsten kontaktiert?

Bisher wurden wir häufig von Angehörigen mit der Frage kontaktiert, wie trotz fortschreitender Beeinträchtigung des Sehens und/oder Hörens die Kommunikation und Informationsbeschaffung weiterhin möglich sein kann.

 

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist den Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft und die Vernetzung mit anderen taubblinden bzw. hörsehbeeinträchtigten Personen.

 

Die Beratungsstelle ist in Frankfurt. Bieten Sie diese kostenlose Beratung hessenweit an? Online oder vor Ort?

Wir bieten die hessenweite Beratung kostenlos an. Menschen können zu uns in die Beratungsstelle nach Frankfurt (Sachsenhausen) kommen. Zudem bieten wir Beratung per Telefon, E-Mail und Videotelefonie an.

 

Zusätzlich suchen wir Menschen in ihrem häuslichen Umfeld oder in Einrichtungen auf und bieten somit aufsuchende Beratung an. Wenn die Ratsuchenden gebärdensprachlich orientiert sind, organisieren wir Dolmetschende. Werden außerdem Taubblindenassistenzen für die Beratung benötigt, organisieren wir auch diese. Für beides werden die Kosten von uns übernommen.

 

Wir, als Beraterinnen, beherrschen bereits die Grundlagen der Gebärdensprache und können über Lormen kommunizieren. Als weitere Möglichkeit bieten wir die Kommunikation über das Hilfsmittel Tabli an. Dies besteht aus einer Braillezeile und einem angeschlossenen Smartphone und ist für Menschen, die die Punktschrift beherrschen, entwickelt worden.

 

Inwieweit sind Menschen mit dieser Behinderung in unserer Gesellschaft inkludiert und was sollten wir bei dem richtigen Umgang mit Menschen mit Taubblindheit und Hörsehbehinderung beachten?

Je nachdem, in welchem Alter die Beeinträchtigung auftritt, kann dies sehr unterschiedlich aussehen, da die Menschen unterschiedlich viel Vorerfahrung und Wissen haben.

 

Wenn erst im Erwachsenenalter beide Fernsinne betroffen sind und die Person bereits im Berufsleben steht, ist sie in der Regel recht gut inkludiert. Es ist dann wichtig, dass sich alle beteiligten Personen bemühen, um geeignete Lösungen zu finden, sodass die Person nicht aus dem bestehenden System bricht. Für Menschen, die bereits vorher mit der doppelten Sinnesbeeinträchtigung konfrontiert werden, ist es häufig nicht einfach.

In welchem Ausmaß die Menschen teilhaben können, hängt unter anderem vom Umfeld und dessen Kommunikationskompetenzen ab. Den Menschen ist es am Wichtigsten nicht den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren.

 

Generell können wir alle dazu beitragen, indem wir ihnen mit Offenheit begegnen und für unterschiedliche Kommunikationswege aufgeschlossen sind. Betroffene Personen nutzen unterschiedliche Kommunikationsformen, z.B. (taktile) Gebärdensprache, Lautsprache, Blindenschrift oder Lormen. Das Lorm-Alphabet lässt sich recht leicht erlernen. Wir selbst haben hierfür z.B. auch die kostenfreie App „Lern Lormen“ genutzt.

 

Kontakt zu einer taubblinden Person kann man aufnehmen, indem man sie leicht am Arm oder an der Schulter antippt. Es kann hilfreich sein, langsam und deutlich zu sprechen und auf eine gute Belichtung des Gesichts und der Hände zu achten. Auch das Nutzen von einfacher Sprache kann die Kommunikation erleichtern.

 

Um schnell Informationen und Unterstützung zu bekommen, ist es zudem immer gut sich Hilfe zu holen, z.B. bei unserer Beratungsstelle.

 

Planen Sie auch Veranstaltungen, um die Gesellschaft für diese Behinderung zu sensibilisieren?

Ja, aktuell planen wir für dieses Jahr zwei Veranstaltungen. Am 17.08.2024 veranstalten wir mit Dr. Michael Richter, dem Geschäftsführer von rechte behinderter menschen (rbm), einen Vortrag mit anschließendem Austausch zum Thema sozialrechtliches Grundlagenwissen für taubblinde Menschen.

 

Des Weiteren planen wir im November einen Lormkurs mit Heike Hermann-Hofstetter von Captain Handicap. Es sind weitere Veranstaltungen in Planung.

 

Wie und wo können die Menschen Sie erreichen?

Unsere Beratungsstelle befindet sich in der Mörfelder Landstraße 6-8, 60598 Frankfurt am Main und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Telefonisch sind wir unter den Nummern 069 130148 -39/-38 sowie per SMS und Signal unter den Nummern 0175 3454926 und 0151 46573542 zu erreichen. Unsere E-Mail-Adresse lautet tbl-beratung@blista.de.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Text: Judit Nothdurft

Foto: Deutsche Blindenstudienanstalt e.V.

 
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